Euroregion Elbe/Labe

Marcela Svejkovska

Collective guilt is a curse that still makes us cry

Lubenz / Lubenec

Marcela Svejkovská (*1973) is a teacher with a passion for archives. She was born in Lubenz and lives there. The region between the Doupau Mountains and the Schnellatal holds many stories that she discovers either alone, with her family or with her students. Together they get to know the soul of the region and the forgotten stories of its former inhabitants, but also monuments, chapels, hills and wild orchards. She cannot imagine that a nuclear waste storage facility should be built here. And so, just like with the SOS Lubenec association, she also introduces people in the classroom to a sensitive approach to the landscape.

Woher kommst du und wie bist du dazu gekommen, die Geschichte der Sudeten zu erkunden?

Ich bin in Lubenz geboren und aufgewachsen und habe dort bis zum Alter von 23 Jahren gelebt. Dann zog ich für etwa zehn Jahre nach Podersam, aber schließlich wieder zurück nach Lubenz. Mein Traum war es, Archivwesen zu studieren, aber sie haben mich nicht aufgenommen, weil ich kein Deutsch konnte. Das gilt bis heute, aber ich habe immer noch eine Vorliebe für Archive. Ich unterrichte an einem Gymnasium und habe die Lehrbefähig-ung für tschechische Sprache und Geschichte. Ich habe zwanzig Jahre lang am Gymnasium in Podersam unterrichtet und bin jetzt im vierten Jahr am Gymnasium in Kaaden. Ich habe auch versucht, in Grundschulen zu unterrichten, meist auf freiberuflicher Basis für ein paar Stunden (Podersam, Schönhof, Rudig, Lubenz). Ich habe auch Führungen auf dem Schloss in Schönhof gemacht. Darüber, dass ich zum Studium des Archivwesens nicht zugelassen wurde, bin ich heute eigentlich ganz froh, denn ich weiß, dass ich, wenn ich in einem Archiv arbeiten würde, nicht so viel Zeit hätte, diese Archive systematisch zu durchforschen, wie ich es jetzt tue. Heute mache ich das aus Interesse und Freude.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Archivmaterial mit dem Unterricht zu verbinden?

Ich habe immer versucht, „anders“ zu unterrichten. Es mag naiv klingen, aber ich wollte immer, dass es vor allem mir Spaß macht. Ich habe verstanden, dass dies die Voraussetzung dafür ist, dass es den Kindern Spaß macht. Als meine drei Kinder klein waren, war ich nicht oft im Archiv. Erst 2015 bin ich wieder regelmäßig dorthin gegangen. Ich habe das Gefühl, dass ich erst seitdem auch den Weg zu gutem Unterrichten gefunden habe. In meinen ersten Jahren als Lehrerin habe ich viel ausprobiert und viele Fehler gemacht, die mir heute bewusst sind. Das war damals wohl nötig. Heute versuche ich, meinen Unterricht sehr lebendig zu gestalten, in dem Sinne, dass wir wissen, wo wir leben, dass wir uns bewusst sind, wo wir uns befinden. So lernen die Kinder ihre Umgebung aus erster Hand durch Archivmaterial kennen, aber auch indem sie diese „Erinnerungsorte“ selbst aufsuchen. Ich habe dies schon früher versucht, aber im Nachhinein sehe ich, dass ich mir des großen Potenzials des Ortes, an dem wir leben, nicht so bewusst war. Wir haben verschiedene Ausflüge unternommen, aber eher in abgelegenere Gebiete.

Das Sudetenland liegt am Rande des Geschehens. Wie, denkst du, kann man Kindern eine Beziehung zu einem Ort vermitteln?

Ich denke, das ist auch bei jedem anderen Thema ähnlich. Ich bemühe mich sehr, mit den Kindern über das Thema zu sprechen, es zu diskutieren. In Podersam, wo ich unterrichtet habe, hat sich die demografische Kurve der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg stark verändert. Ich hatte auch Kinder mit sehr unterschiedlichen Hintergründen in meiner Klasse. Einige von ihnen hatten Großeltern, die nach dem Krieg aus dem Landesinneren nach Podersam kamen. Dann gab es Schüler, die Nachkommen von Menschen aus dem ukrainischen Wolhynien waren, Wolhynien-Tschechen. Einige der Schüler stammten auch aus gemischten Familien, z. B. verbliebene Deutsche und Wolhynien-Tschechen. Es war sehr interessant und abwechslungsreich. Und wir hatten die Gelegenheit, diese Themen anhand ihrer Familiengeschichte und ihres Familiengedächtnisses zu erkunden. Oftmals war es auch emotional sehr intensiv. Heute zweifle ich daran, ob ich in meiner Jugend in der Lage war, unsere Diskussionen richtig zu moderieren... Einmal weinte ein Schüler, er kam aus einer deutschen Familie. Es tat ihm furchtbar leid, dass sein bester Freund, der aus einer Familie stammte, die viele Mitglieder in Český Malín [Malyn — ein Dorf im Westen der Ukraine, das Ende des 19. Jahrhunderts von Einwanderern aus Saaz, Rakonitz und Podersam gegründet wurde; 1943 von den Nazis niedergebrannt] verloren hatte, anfing, ihm die Kollektivschuld der Deutschen vorzuwerfen. Das hat ihm damals sehr wehgetan... Aber eigentlich war es eine Lehre für uns alle. Dadurch wurde uns klar, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Und dass die kollektive Schuld ein Fluch ist. Sie betrifft uns ständig, und sie kann uns immer noch zum Weinen bringen.

Beim Zuhören bleibt einem der Atem stehen.

Ich stelle mir vor, wie du in einem Klassenzimmer stehst und sagst: „Das Thema der heutigen Stunde: Bearbeitung der jüngsten Vergangenheit“... Wann hast du angefangen, dich für dieses Thema zu interessieren?

Ich habe mich mein ganzes Leben lang damit beschäftigt, die jüngste Vergangenheit zu bearbeiten. Meine Großeltern kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus Klein Bor bzw. Kleinheid, einem Dorf im südlichen Böhmerwald, nach Westböhmen — ähnlich wie andere Familien in Lubenz. Ich erinnere mich, dass sie mir erzählten, wie ihr Dorf von den Amerikanern befreit wurde. Sie zeigten mir Fotos, die ich immer noch habe. Und dann habe ich ihre Erinnerungen mit dem konfrontiert, was unsere genossenschaftlichen Lehrer uns in der Schule über die Rote Armee erzählt hatten. Es waren völlig unterschiedliche Geschichten. Ich habe mich auch schon als Kind dafür interessiert, dass hier in der Umgebung noch Deutsche leben. Im Bus konnte man zum Beispiel hören, wie sich die Leute im sudetendeutschen Dialekt unterhielten. Sie lebten hier überall, obwohl sie eigentlich nicht existierten... Diese Paradoxe haben mich mein ganzes Leben lang begleitet, und in den letzten Jahren habe ich mich immer mehr für sie interessiert, weil es Themen sind, die immer noch emotionale Reaktionen hervorrufen. Mit unserem Verein SOS Lubenec organisieren wir öffentliche Vorträge, zu denen wir verschiedene Gäste einladen. Und ab und zu gibt es jemanden im Publikum, der sagt, dass das Thema der Vertreibung der deutschen Bevölkerung nicht mehr angesprochen werden sollte. Dass es Vergangenheit ist und es sich nicht lohnt, darüber zu sprechen. Ich persönlich finde es sehr Schade, dass viele Archivalien aus dieser Zeit, wie Schul- oder Gemeindechroniken, Register und andere Dokumente, vernichtet wurden oder verloren gegangen sind. Wir leben in einem Dorf, das keine eigene Chronik hat. Es ist, als gäbe es diesen Teil der Geschichte nicht. Leere, weiße Flecken in der Geschichte des Dorfes. Es gibt auch nur sehr wenige wissenschaftliche Studien, die sich mit dem Sudetenland in den 1920er bis 1940er Jahren befassen. Wenn ich dies mit dem Umfang der mittelalterlichen Forschung vergleiche, sehe ich, dass uns diese moderne Periode und ihre Dokumentation fehlt. In Kaaden ist es zum Beispiel sehr wichtig, den örtlichen Friedhof zu besuchen, der auch einen Teil der Geschichte „erzählt“.

Kannst du einige deiner Inspirationen nennen?

Ich lasse mich definitiv von Büchern und auch von Menschen inspirieren. Zum Beispiel Marta Vančurová und ihr Projekt „Verschwundene Nachbarn“. Josef Märc aus Komotau, der Kindern die Liebe zur Geschichte und zur Eigenverantwortung vermittelt. Petr Linhart, der einen einzigartigen Einblick in die sudetendeutsche Landschaft hat und dies in seine Lieder einfließen lässt, was ich sehr schätze. Richard und Jitka Kant aus Lubenz, die sich seit vielen Jahren mit der regionalen Geschichte beschäftigen, in Archiven recherchieren und versuchen, die „weißen Flecken“ zu füllen. Inspiriert werde ich sicherlich von meinem Mann, der als Geologe derzeit über den Kaolinabbau in der Region Podersam forscht, sowie über das Thema der ehemaligen Porzellan- und Keramikfabriken, deren Besitzer hiesige Deutsche waren. Auch er sah sich bei seinen Recherchen mit dem Fehlen zeitgenössischer Quellen konfrontiert und stieß oft auf Unwissenheit oder vielleicht sogar auf bewusste Ignoranz gegenüber der Zeit vor 1945. Eine große Inspiration für mich sind auch die Bücher von Jiří Padevet, da sie das Bewusstsein von Menschen fördern, die mit diesen Themen vielleicht noch nicht in Berührung gekommen sind.

Welche Reaktionen erhältst du von deinen Schülern, interessiert sie das?

Am meisten freue ich mich, wenn die Schüler zu Beginn der Stunde, während des Brainstormings, nicht viel über das Thema wissen und am Ende sehr detailliert darüber reflektieren können. Und vielleicht sogar über ihr eigenes Bewusstsein. Wie seltsam es eigentlich ist, dass über bestimmte Themen in der Gesellschaft nicht gesprochen wird. Es geht nicht unbedingt nur um regionale Themen oder das Sudetenland. So wird beispielsweise über politische Gefangene und auch über weibliche Gefangene überhaupt nicht gesprochen. Das Feedback der Schüler ist für mich viel wichtiger als die Einhaltung des Lehrplans. Das Wichtigste, nicht nur in Geschichte, sondern in allen Fächern, ist meiner Meinung nach, das Interesse der Kinder zu wecken. Sie werden sich dann selbst darum bemühen, sie werden sich dafür interessieren oder zu diesen Orten gehen.

Ein Atommülllager wollten die Einheimischen nicht, Vorträge schon.

Bist du während deiner Lehrtätigkeit auf Hindernisse gestoßen, weil du dich auf die neuere Geschichte und die deutsch-tschechischen Beziehungen konzentrierst?

In Podersam stieß ich auf Unverständnis bei meinen Kollegen und der Schulleitung und auch auf einige Hindernisse. Sie wollten nicht, dass ich die Themen der jüngeren Vergangenheit anspreche und mit den Kindern bearbeite. Oder als wir in der Schule Zeitzeugen zu Besuch hatten, deren Geschichten die Kindern regelrecht verschlungen, und mir dann gesagt wurde, dass die Schüler deswegen andere Unterrichtsstunden verpasst hätten... Damals kamen zum Beispiel Herr František Lederer, der das Ghetto von Łódź überlebt hat, oder Herr Ladislav Krejza, der vom kommunistischen Regime wegen des Verteilens von Flugblättern inhaftiert wurde. Im Lager traf er Generäle, die im Zweiten Weltkrieg für Großbritannien kämpften. Trotz allem, was er durchgemacht hatte, verfügte er über eine enorme Einsicht. Ungefähr 60 Schüler hörten ihm zu, und es war so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Aber wir mussten das Gespräch abbrechen, damit die Kinder nicht die folgende Stunde verpassen. Herr Krejza ist kürzlich verstorben, was ich sehr bedauere, aber es war gut, dass die Schüler ihn treffen konnten. Der persönliche Kontakt mit Zeitzeugen ist wahrscheinlich das Beste, was sie erfahren können. Zu sehen, dass sie nicht selbstmitleidig, verbittert und verletzt sind, dass sie eine Perspektive haben und trotz allem, was ihnen widerfahren ist, verzeihen können. Auch um den Wert des Lebens zu erkennen. Es ist sehr wichtig, solche Leute zu treffen. Auch um zu erkennen, wie wertvoll es ist, solche Menschen (noch) fragen zu können.

Wie unterscheiden sich die Reaktionen von Kindern und Erwachsenen auf Zeitzeugen?

Einmal machten wir mit Schülern eine Exkursion nach Weidmesgrün in der Nähe von Schlackenwerth in den sogenannten „Todesturm“. Herr Jaroslav Cibulka war dort unser Reiseleiter. Als ich ihn einlud, bei uns in Lubenz zu sprechen, kamen einige der Schüler, um seine Geschichte noch einmal zu hören. Und sie nahmen ihre Eltern, Großeltern oder Geschwister mit. Sie wollten ihn ihnen „vorstellen“ und wollten, dass auch sie seine Geschichte hörten. Ich habe das Gefühl, dass die jungen Leute heute eher daran gewöhnt sind, sich mit Zeitzeugen zu treffen und Fragen zu stellen. Mir ist klar, dass die mittlere und ältere Generation solche Aktivitäten vielleicht viel mehr braucht. Daher ist es sehr wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen treffen und mit denen diskutieren können, die die Härten des Totalitarismus erlebt haben. Sei es Nationalsozialismus oder Kommunismus. In letzter Zeit wird diese Zeit in den Medien relativiert, und darin sehe ich eine große Gefahr. Ich denke, dass persönliche Begegnungen mit Zeitzeugen ein Weg sind, um zu erkennen, was für eine schreckliche Zeit das war. Dann verliert man die Neigung, es auf die leichte Schulter zu nehmen.

Fällt dir dabei ein Schicksal oder eine Geschichte ein, die dich besonders bewegt hat?

Kürzlich entdeckte ich im Karlsbader Archiv einen Brief — einen Antrag einer gewissen Anna. Sie lebte in Pürles, einem Dorf in der Nähe von Stiedra bei Lubenz. Sie bat darum, von der Vertreibung ausgenommen zu werden. In ihrem Schreiben machte sie geltend, dass sie immer auf der Seite von Masaryk und Beneš gestanden habe, dass ihre Kinder tschechische Schulen besuchten und dass sie selbst Probleme mit den anderen Bewohnern des Dorfes hatte, welche Henlein unterstützten. Ihr Sohn ist an der Front gefallen und ihre Tochter starb. Sie hatte ein sehr hartes Leben und wollte unbedingt in Tschechien bleiben, weil sie sich als Tschechin fühlte. Und nach dem Krieg war sie plötzlich weder Tschechin noch Deutsche. Was mich daran faszinierte, war, dass der örtliche Nationalausschuss ihren Antrag auf Ausnahme von der Vertreibung einstimmig ablehnte. Der Vorsitzende dieses Ausschusses war damals der katholische Dichter Josef Palivec, Ehemann von Helena Koželuhová (Schwester von Karel und Josef Čapek). Diese Entdeckung hat mich negativ überrascht. Aber es zeugt davon, wie kompromisslos diese Zeit war und das Prinzip der Kollektivschuld der Deutschen die Gesellschaft durchdrang und auch solche Menschen infizierte. Die Geschichte dieser Frau hat bei mir großes Interesse geweckt, und ich würde gerne herausfinden, welches Schicksal sie in Deutschland ereilt hat. Ich denke, dieser Brief von ihr ist eine gute Quelle für einen forschungsorientierten Unterricht, der sich mit kollektivem Gedächtnis und kollektiver Schuld beschäftigt. Sie kann den Schülern zum Beispiel bewusst machen, dass die Menschen keine Möglichkeit hatten, den Entscheidungen anderer zu entkommen oder sie in irgendeiner Weise rückgängig zu machen. Die zweite Geschichte, die meine Aufmerksamkeit erregt hat, hat mit der Fahrkarte von Anna Grundlach zu tun, die ich ebenfalls im Archiv gefunden habe. Zu Ende des Krieges hatte diese Anna vier Kinder im Alter von einem bis fünf Jahren und eine betagte Mutter. Sie wurde mit allen vertrieben. Es ist schwer vorstellbar, was sie hätte mitnehmen können, wenn sie die Hände voller Kinder hatte...

Was geht dir durch den Kopf, wenn du solche Geschichten liest?

Es bleibt einem nichts anderes übrig, als auf ein gutes Ende zu hoffen... Einige der vertriebenen Menschen hatten vielleicht die Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen, als wenn sie hier geblieben wären. Und heute, mit etwas zeitlichem Abstand, besteht Hoffnung auf Versöhnung. Viele Menschen in der Tschechischen Republik sind heute der Meinung, dass das Prinzip der Kollektivschuld falsch ist und dass die Vertreibung nicht in angemessener Weise durchgeführt wurde, aber sie behaupten auch, dass sie unvermeidlich war. Das glaube ich nicht.

Gibt es noch etwas, das die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen verhindert? Wie könnte man dem helfen?

Unabhängig davon, ob die Versöhnung Staaten, Nationen oder Einzelpersonen betrifft, ist meines Erachtens das Schwierigste, dass beide Seiten ihren Anteil an der Schuld zugeben. Das zu benennen, was passiert ist. Sie müssen ihren Teil der Schuld annehmen. Auch wenn es uns heute nicht mehr zu betreffen scheint und die Akteure längst tot sind, ist es wichtig, diese Dinge zu benennen. Zu erkennen, dass es eine Schande ist. In der Nähe von Lubenz gibt es viele Bunker [„Ropik“ — Volksbezeichnung für Stahlbetonbauten, die in den 1930er Jahren entlang der tschechoslowakischen Grenze gebaut wurden] von der ursprünglichen tschechoslowakischen Verteidigungslinie, an denen ich oft mit unserem Hund vorbeigehe. Aber erst vor kurzem wurde mir klar — als ich mit meinen Schülern über das Münchner Abkommen sprach und darüber, ob wir uns hätten wehren sollen — was das bedeutet hätte. Zwischen den Bunkern kam mir der Gedanke, dass einer der Gründe, warum wir uns damals nicht gewehrt haben, vielleicht darin lag, dass es zu einem Bürgerkrieg gekommen wäre. Damals waren viele Ehen gemischt, sodass sogar Nachbarn gegeneinander gekämpft hätten...

Was braucht das Sudetenland deiner Meinung nach heute am meisten?

Dass die jungen Leute hier bleiben und die Region nicht entvölkert wird. Junge Menschen haben hier oft keinen Arbeitsplatz, sie haben keinen Grund zu bleiben. Und auch, dass es nachbarschaftliche Beziehungen gibt, ein Gemeinschaftsgefühl, und dass hier interessante Dinge passieren, die von jungen Menschen vorangetrieben werden. Dass sie den Wunsch und die Motivation haben, hier zu bleiben und etwas zu bewirken. Vieles hängt davon ab, dass sie Gleichaltrige um sich haben.

Siehst du in eurer Region und in deiner Umgebung, wie die Leute dieses Gebiet wahrnehmen? Gelingt es hier, eine Beziehung zum Ort aufzubauen, Wurzeln zu schlagen?

Allmählich verändert sich auch unser Umfeld, zum Beispiel indem sich jemand entschließt, ein altes Kreuz oder einen Bildstock zu restaurieren, sich für den Wiederaufbau einer Kirche einzusetzen, in einem Chor zu singen, Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren. Im Jahr 2012 gründeten wir den Verein SOS Lubenec, dessen ursprünglicher Zweck es war, auf die Pläne der tschechischen Regierung aufmerksam zu machen, in der Nähe unseres Dorfes ein Atommülllager zu errichten. Niemand informierte damals die Anwohner, und die Entscheidung war schon fast gefallen. In letzter Minute haben wir damit begonnen, um mehr Transparenz bei den Verhandlungen zu kämpfen. So haben wir beispielsweise eine Konferenz mit Vertretern des Ministeriums, Frau Drábová von der staatlichen Atomaufsichtsbehörde und noch weiteren Leuten abgehalten. Wir haben auch die anderen Standorte kontaktiert, die in der engeren Auswahl standen und haben Ende April am Tag der Erde einen Tag gegen Endlager organisiert. Oder wir organisierten eine Wanderung durch die Gebiete, in denen der Atommüll gelagert werden sollte, und liefen dabei auch über eine Wiese, die voller geschützter Pflanzenarten ist. Außerdem organisierten wir ein paar Konzerte. Einige Menschen in der Region haben sich gegen unsere Aktivitäten gewehrt, weil sie der Meinung waren, dass das Atommülllager hier auch viel Geld in Form von verschiedenen Entschädigungen einbringen könnte. Generell herrschte zu dieser Zeit eine schlechte Stimmung in unserem Dorf. Und so begannen wir, andere Dinge zu tun, wie z. B. öffentliche Vorträge, damit auch ein gewisses Maß an Bildung stattfindet und die Menschen erkennen, wie wichtig es ist, sich bürgerlich zu engagieren. Letztendlich wurden andere Orte ausgewählt, und Lubenz gehört nicht dazu. Das ist einerseits erfreulich, andererseits tut es uns leid für diejenigen, die noch von dem Problem betroffen sind. Aber unsere Aktivitäten sind noch nicht zu Ende. Wir wollen weiterhin in Kontakt bleiben und auch Vorträge mit interessanten Persönlichkeiten und Ausflüge in die Umgebung organisieren. Wir haben festgestellt, dass unsere Tätigkeit Vertreter verschiedener Generationen zusammenbringt, wir hatten Teilnehmer im Alter von 12 bis 90 Jahren, auch aus den umliegenden Dörfern. Wir hoffen, dass es uns gelingt, die lokale Bevölkerung mehr zu erreichen.

Wie würdest du dir wünschen, dass das Sudetenland in 50 Jahren aussieht?

Ich wünschte, dass die Landschaft und wertvolle Gebäude erhalten blieben, dass wir sie rechtzeitig schützen und retten können. Ich möchte nicht, dass es hier kommerzialisiert wird. Die Wiederbelebung sollte mit einem Sinn für Landschaft und Respekt für Tradition und Ort einhergehen.

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