Euroregion Elbe/Labe

Lucie Melničáková, Olga Jarolímková, Michaela Valášková

Wir sind lokale „Mikroinfluencerinnen“.

Aussig an der Elbe / Ústí nad Labem

Lucie Melničáková (*1979), Olga Jarolímková (*1978) und Michaela Valášková (*1983) sind Patriotinnen aus Aussig an der Elbe. Sie sind in der ganzen Welt herumgekommen, aber ihr „Entwicklungspotenzial“ hat sie wieder nach Nordböhmen geführt. Sie haben schnell erkannt, dass es nicht ausreicht, Kritik zu üben, sondern dass sie selbst zu einem schönen Umfeld und kulturellen Leben beitragen können. Mit ihrem Verein Promyky verbessern sie nicht nur den öffentlichen Raum in Kleische, der „vergessen“ war. Sie schaffen Gelegenheiten zum Treffen für Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden, und sie denken auch an den Planeten. Und daran, dass sie diese außergewöhnlichen Begegnungen bereits erlebt haben!

Wie seid ihr nach Aussig gekommen? Habt ihr hier Wurzeln, oder seid ihr „Neuankömmlinge“?

Olga: Ich bin gebürtig aus Aussig. Und ich bin nicht nur hier geboren, sondern habe mein ganzes Leben hier verbracht, mit Ausnahme einer fünfjährigen Unterbrechung, als ich in Brünn studierte. Ich bin also im Herzen Aussigerin.

Michaela: Ich bin der einzige Neuankömmling — aus Türmitz, das etwa dreieinhalb Sekunden von Aussig an der Elbe entfernt ist. Und wenn ich das ganze Reisen um die Welt und den Umzug von Prag nach Königgrätz und von Königgrätz nach Prag auslasse, bin ich seit etwa fünf Jahren wieder in Aussig. Aber wir, die wir nicht weit von Türmitz entfernt wohnen, waren schon immer auch aus Aussig, ich bin also hier zu Hause. Ich fühle mich von Natur aus von unwirtlichen Umgebungen angezogen.

Warum seid ihr nicht zum Beispiel in Königgrätz oder Brünn verankert? Was hat euch wieder hierhergezogen?

Olga: Ich bin ein sehr familiärer Mensch, Beziehungen sind mir wichtig, nicht nur zur Familie, sondern auch zu Freunden. Ich habe fünf Jahre lang in Brünn studiert und ich liebe es, aber ich habe dort keine Wurzeln geschlagen, die meisten meiner Freunde habe ich immer noch in Aussig. Und vor allem muss ich sagen, dass ich es hier liebe, Aussig an der Elbe, unsere Region, die Berge ringsum. Brünn ist eine schreckliche Ebene für mich. Die Stadt ist schön, aber für mich ist sie nicht mein Zuhause. Also kam ich nach meinem Studium zurück, fand hier einen Job und blieb. Auch wenn sich viele Leute an die Stirn fassten.

Michaela: Es ist sehr schön in Königgrätz, aber ich sehe all die Dinge, die unbedingt zu Aussig gehören, nicht — die Abgelegenheit, die Industriebrachen, die Überbleibsel von Erfolg und Wohlstand. Ich würde es wahrscheinlich vermissen. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo in einem schönen Paradies zu leben, wo alles funktioniert und alles total cool ist. Ich fühle mich von Natur aus von unwirtlichen Umgebungen angezogen. Ich bin wegen der Liebe, der Freunde und natürlich der Familie hierher zurückgekehrt. Ich bin jetzt auch schon ein bisschen älter und kann mir nicht vorstellen, ein Kind in, sagen wir, Prag aufzuziehen. Dass ich mir jeden Quadratmeter Natur teilen, mit einem Kinderwagen in der U-Bahn kämpfen, um einen Platz im Kindergarten kämpfen müsste. Wenn man ein bisschen was kann, ist man hier nicht von Arbeitslosigkeit und hartem Wettbewerb bedroht. In Prag ist die Konkurrenz groß. Ich denke also, es ist etwas einfacher, hier zu leben.

Wann habt ihr beschlossen, euch in Aussig zu engagieren?

Einfach zusammen sein — nachhaltig, nachbarschaftlich, gerne.
Einfach zusammen sein — nachhaltig, nachbarschaftlich, gerne.

Olga: In mir brodelte es schon seit langem. Ich hatte das Bedürfnis oder den Wunsch, etwas zu tun. Natürlich sind wir nicht die einzigen in Aussig, die versuchen, etwas zu verbessern, und das fand ich schon immer sehr sympathisch. Also fing ich langsam an, mich umzusehen. Wir haben mit der Säuberung öffentlicher Räume begonnen, denn die Umwelt um uns herum sollte uns nicht gleichgültig sein. Und dann sind wir zufällig durch eine gemeinsame Freundin auf das Projekt „Partizipation“ aufmerksam geworden, ein Anreiz für Bürger, Projekte zur Verbesserung des öffentlichen Raums einzureichen. Wir haben einen Vorschlag zur Verbesserung unseres Wohngebiets eingereicht.

Michaela: Ich war schon immer Aktivistin. Ich begann am Ende der Mittelschule und während meines Studiums sehr aktiv zu sein. Aussig an der Elbe war kulturell sehr lahm und ist es bis heute. In den Jahren 2002 bis 2012, als ich Veranstaltungen machte, gab es nicht viele Möglichkeiten, Reggae, Hip-Hop, Techno und 104 all diese subkulturellen Sachen zu hören. Also fing ich an, Partys zu veranstalten. Dann gab es eine lange Pause, weil ich wegen der Liebe, der Arbeit, des Studiums und der Bildung überall hinreiste. Als ich zurückkam, wurde ich ein paar Jahre später Mutter und begann in Aussig an der Elbe ein Leben als Elternteil zu führen. Dadurch habe ich mich mit den Mädels verbunden und wir haben herausgefunden, dass wir die Welt auf ähnliche Weise wahrnehmen und dass dies wahrscheinlich der richtige Ort ist, um etwas gegen die Dinge zu unternehmen, die uns stören oder die uns fehlen.

Was habt ihr zum Beispiel schon gemacht, oder was macht ihr gerade?

Olga: Wir wohnen alle drei in Kleische, das ist eine sehr schöne Gegend mit vielen Familienhäusern, man kennt sich untereinander, ein kleines Dorf eben. Und wir haben hier einen Park, den wir im Rahmen des Projekts „Partizipation“ verbessern wollen. Wir haben den Spielplatz und die Revitalisierung des Parks initiiert, und Míša hat von einem privaten Unternehmen Geld für den Bau einer Pergola bekommen. Wir haben auch begonnen, Veranstaltungen in der Nachbarschaft zu organisieren, bei denen es um die Säuberung oder Pflege öffentlicher Räume geht, z. B. Guerilla Gardening. Wir haben den Ort, an dem wir leben, ein wenig für uns eingenommen und versuchen, ihn zu verbessern, um ihn zu einem schönen Ort zum Leben zu machen. Wir versuchen auch, mit den städtischen Behörden zusammenzuarbeiten — wenn wir sehen, dass etwas nicht funktioniert oder etwas kaputt ist, weisen wir darauf hin und versuchen, es zu beheben. Und nach und nach begannen wir auch andere Veranstaltungen zu organisieren, um Menschen zusammenzubringen und eine herzliche Nachbarschaft zu schaffen.

Michaela: Wir haben einfach allen Mut zusammengenommen. Für mich persönlich war es zum Beispiel unvorstellbar, dass ich einen Projektantrag für Geld schreiben würde. Aber ich habe herausgefunden, dass Olga Anwältin ist und das „Un-Tschechisch“ versteht, Lucy Excel liebt und weiß, wie man rechnet, und ich kann einen Fließtext schreiben, also ist es die perfekte Kombination. Dank dieser ersten Schritte fanden wir heraus, dass wir alles zusammenstellen konnten und beschlossen, das erste Geld zu beantragen. Damals erhielten wir fast hunderttausend Kronen von der Via-Stiftung im Rahmen des Programms „Lebendige Gemeinschaft“ und sollten das Festival Nádhera (Wunderschön) organisieren, das in Kleische eine lange Tradition hat. Außerdem organisieren wir jedes Jahr einen wohltätigen Adventsmarkt, zu dem wir lokale Unternehmen einladen, die etwas zu essen oder zum nicht-essen herstellen. Wir möchten, dass die Menschen erkennen, dass diese Händler im Gegensatz zu multinationalen Konzernen die Rechnungen bezahlen oder auch Kinderbetreuung, und das Gesicht der Stadt prägen. Nicht die Hypermärkte in den Außenbezirken... Nicht zu vergessen ist die Veranstaltung Divadlo (o)všem, bei der wir Aufführungen für Jung und Alt anbieten. Alle sind mit einer Spendenaktion für eine wichtige Einrichtung verbunden, sei es ein Hospiz, ein Kindergarten oder ein Tierheim. Das Bindeglied zwischen all unseren Veranstaltungen ist ein ökologischer Ansatz. Wir versuchen, keine Einwegverpackungen zu verwenden, um den Abfall wirklich zu minimieren. Und ich denke, dass es uns insgesamt gelingt, die Veranstaltungen kultiviert zu gestalten. Kein Streit, keine Auseinandersetzungen... Bei uns ist noch nie jemand ausgeraubt worden. Ich denke, das ist ein Wunder, wenn man sechshundert Leute an einem Ort hat und sie Alkohol trinken.

Olga: Wir versuchen auch, die Leute ein bisschen aufzuklären, zum Beispiel, dass Theater kein Tabu ist, dass sie keine Angst davor haben müssen. Oder wir machen sie mit lokalen Bands bekannt, zeigen ihnen lokale Geschäfte. Aussig ist eine Stadt, in der es an Patriotismus und Stolz mangelt. Wir versuchen, ein wenig zu zeigen, dass es hier Dinge gibt, auf die wir stolz sein können. Aber das ist natürlich nur in einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgreich, man kann eine Person, die am Existenzminimum lebt und in einer ausgegrenzten Gegend wohnt, kaum davon überzeugen, dass Aussig großartig ist...

Michaela: Wir ermutigen zu positivem Denken, weil die Menschen hier einfach nur verärgert sind. Sie haben die Opferrolle eingenommen. Sie zeigen auf diejenigen, von denen sie glauben, dass sie für ihr Unglück und ihre Unzufriedenheit verantwortlich sind. Und da hört es dann auf.

Olga: Wenn wir in einer schönen Umwelt leben wollen, müssen wir auch etwas dafür tun — und nicht nur darauf warten, dass ein Politiker oder ein Beamter es tut. Die Menschen hier sind einfach verärgert, sie haben die Opferrolle eingenommen.

Warum habt ihr euren Verein Promyky genannt?

Aussiger Promyky
Aussiger Promyky

Olga: Promyka (Mungo) ist ein Tier, eine Art Erdmännchen, das in Indien lebt und sehr mutig ist und keine Angst vor giftigen Schlangen hat. Eltern kaufen dort Mungos für ihre Kinder als Haustiere, um sie vor Schlangen zu schützen. Mungos sind also wie Wächter. Als die Mädels und ich anfingen, aktiv zu werden und unsere ersten Projekte durchzuführen, haben wir uns wirklich mit den Beamten angelegt, wir waren oft traurig und verärgert.

Michaela: Der Mungo ist wahrscheinlich das einzige Tier der Welt, das die meisten Giftschlangen frisst! Wenn er ungeschickt ist und von einer Kobra gebissen wird, stirbt er für eine Weile, aber dann wacht er wieder auf und macht weiter. Ich liebe diesen Charakterzug. Auf dieser Reise des Guten begegnen wir verschiedenen „Schlangen“, die uns mit einem Wort oder einem Trick beißen, uns für eine Weile zu Boden werfen, aber wir stehen wieder auf und gehen weiter.

Wie seid ihr zu dem Grundsatz gekommen, dass euer Handeln umweltfreundlich sein sollte?

Michaela: Ich denke oft darüber nach, wie viel Plastik ich jede Woche wegwerfe, um meinen Haushalt zu führen. Ich würde mich selbst zu denjenigen zählen, die versuchen, auf Plastik zu verzichten, auch wenn ich nicht nur in verpackungsfreien Geschäften einkaufe. Deshalb versuchen wir, andere Teilnehmer unserer Veranstaltungen dazu zu bringen, mit uns darüber nachzudenken.

Olga: Vielleicht liegt es auch daran, dass wir jetzt in einem Alter sind, in dem wir erkennen, wie furchtbar wichtig es ist, unseren Planeten zu retten und unsere Kinder dazu zu erziehen. Wir haben Freunde, die einen verpackungsfreien Laden in Aussig betreiben. Sie waren die ersten, die die Verbraucher zum Nachdenken anregten. Sie haben mir auch einen kräftigen Tritt in den Hintern gegeben. Obwohl ich immer versucht habe, den Abfall zu trennen und nicht völlig konsumorientiert zu sein, habe ich nicht so weit gedacht.

Michaela: Unsere Erfahrung auf anderen Parties spielt eine große Rolle. Wenn das Festival zu Ende ist und das Scheinwerferlicht angeht, sieht man diese unglaubliche Anzahl von Plastikbechern um sich herum. Es ist wichtig, dass der Veranstalter so viel wie möglich unternimmt, um den Abfall zu minimieren, und dass die Standbetreiber verpflichtet werden, Pfandbecher bereitzustellen. Das hat sich für uns sehr bewährt — abgesehen davon, dass wir kaum aufräumen müssen, müssen wir auch nicht vier Stunden mit einer Taschenlampe im Park verbringen, um nach Einbruch der Dunkelheit alle weggeworfenen Becher einzusammeln. Aussig ist voller kluger, hart arbeitender Menschen und die Stadt versäumt es, dies zu würdigen.

Seid ihr auf Hindernisse oder vielleicht eine Sackgasse gestoßen — musstet ihr manche Vorsätze korrigieren?

Kultur für Groß und Klein
Kultur für Groß und Klein

Olga: Wir haben eine Menge solcher Lehrbucherfahrungen. Im Rahmen von „Partizipation“ hatten wir wahrscheinlich unseren ersten engen Kontakt mit den Behörden und Lokalpolitikern, und das war ziemlich auslaugend für mich. Man ist an die Vorstellung gewöhnt, dass es einfach funktioniert, wenn man sich mit jemandem abspricht, aber im Umgang mit Beamten war das oft nicht so. Deshalb waren wir anfangs sehr enttäuscht. Wir wollten zum Beispiel einen Park renovieren, haben uns im Internet verschiedene Tipps angeschaut, was man machen kann, wie es in anderen Städten aussieht, und am Ende haben wir festgestellt, dass wir naiv waren und dass die Grenzen der Behörden enorm sind. Seit fünfundzwanzig Jahren sitzt dort dieselbe Dame, die ein festes Verfahren hat und nicht will, dass sich irgendwelche Mädels einmischen, die keine Erfahrung damit haben. Oder man verabredet, dass sie einen Architekten ansprechen und stellt dann fest, dass sie gar nicht mit ihm gesprochen, sondern eine völlig sinnlose Firma ausgewählt haben und es sinnlos Geld kosten wird, aber man kann nichts dagegen tun, denn es heißt: Nehmen Sie diese oder lassen Sie es. Am Ende ist es gut geworden, wir haben einen schönen Park, in den die Leute gehen, aber die ursprüngliche Idee war eine ganz andere. Und dann ist da noch der Zeitaspekt. Wir würden gerne alles jetzt oder zumindest so schnell wie möglich haben, aber dann stellt man fest, dass das nicht möglich ist. Wir dachten zum Beispiel, wir wollten im Park eine Fichte pflanzen, um sie an Weihnachten mit Lichtern zu schmücken, weil es keinen geeigneten Baum gibt. Und es dauerte ein dreiviertel Jahr, bis der Baum gepflanzt war. Hätten wir sie einfach in der Gärtnerei gekauft und nachts selbst eingepflanzt, hätten wir sie sofort gehabt. Aber ich will nicht ungerecht sein. Viele Leute auf dem Amt versuchen, uns zu helfen.

Michaela: Ich verfolge die Politik in Aussig an der Elbe seit meiner Schulzeit und bin nicht überrascht über die Prioritäten der verschiedenen Seiten. Aber ich bin fasziniert von der ungesunden Kommunikation. Leider ist das öffentliche Interesse für manche Menschen, ob in einem Amt oder in einer politischen Position, keine Priorität. Als wir zum Beispiel mit unserer Idee für einen Spielplatz, die in einem Bürgerwettbewerb unterstützt wurde, in „Partizipation“ eingestiegen sind, haben uns die Vertreter der Stadtverwaltung und des Bezirks sehr schnell an unseren Platz zurückverwiesen. Sie boten ein Konzept an, das wir bereits in unserem ursprünglichen Vorschlag abgelehnt hatten. Wir waren nicht auf der Suche nach einem weiteren vorgefertigten Spielplatz. Dann kamen Unkenntnis der Umwelt, Egoismus, Altersdiskriminierung und politische Manierismen hinzu, und es folgten viele Monate unangenehmer Treffen, bei denen wir uns gegenseitig beleidigten, anschrien und Türen zuschlugen. Es war wirklich unangenehm. Dies führte dazu, dass die stellvertretende Bürgermeisterin abgesetzt wurde. Aber uns wurde im Rat gesagt, dass „wir Mütter sind, die sich an den guten Sachen aufgeilen“. Dann gibt es natürlich noch die behördlichen Verfahren, die Starrheit, alles dauert furchtbar lange. Was ich jedoch als paradox ansehe, ist die abweisende Haltung gegenüber aktiven Bürgern. Wenn sie nicht dumm wären, könnten sie auf die Menschen zugehen, ihnen etwas geben, was sie wollen, ihre Wünsche erfüllen und gleichzeitig an ihren Prozessen festhalten und sie als eigene PR nutzen. Ich bin fasziniert davon, dass wir eine Stadt voller kluger, hart arbeitender Menschen haben, die für wenig Geld und manchmal sogar umsonst eine Menge toller Dinge tun, und die Stadt es versäumt, dies zu würdigen oder zu nutzen.

Was motiviert euch, nicht aufzugeben?

Michaela: Zusätzlich zu meinen Aktivitäten mit Promyky male ich mit einer Reihe anderer Leute großformatige Bilder an öffentlichen Orten. Und da ist die Belohnung, dass ich nach der Veröffentlichung einen Anruf von der deutschen Botschaft bekomme, dass der deutsche Bundespräsident kommt und dass er interessiert ist. Oder wenn mir eine Legende aus der Graffiti-Szene sagt, dass diese künstlerische Tätigkeit Sinn macht. Oder dass es ein Jahr im Freien ohne einen Kratzer übersteht.

Olga: Eine große Motivation ist für mich die Freude der Menschen — dass sie unsere Veranstaltungen genießen, dass sie hingehen und glücklich sind. Ich bin auch froh, dass wir lokale Hersteller und Unternehmen unterstützen. Und wir wollen auch, dass unsere Veranstaltungen einen gewissen karitativen Bezug haben, deshalb sammeln wir immer Geld für gemeinnützige Organisationen. Das gibt mir das gute Gefühl, dass die Veranstaltung jemanden glücklich machen wird, der es braucht. Natürlich klingt es furchtbar idealistisch, wenn man mit einem Sparschwein zu einer Veranstaltung geht, man fühlt sich wie ein Bettler. Aber das Wichtigste ist das Ergebnis.

Michaela: Es ist auch ermutigend, sich mit der öffentlichen Verwaltung zu verbünden — wenn man dort jemanden findet, der bereit ist, mit einem zusammenzuarbeiten und den Weg ein wenig zu erleichtern. Wenn sie ein Tor öffnen, durch das man die anderen fünf Türen überspringt, ist das fantastisch. Vor allem, wenn es sich um eine Person handelt, die nicht das Bedürfnis hat, in der Zeitung fotografiert zu werden, Hände zu schütteln, in den sozialen Medien markiert zu werden und so weiter. Wenn man etwa dreißig Journalisten mit einer Hand wegschieben muss, um dem Präsidenten diese Geschichte zu erzählen.

Wie war das mit dem deutschen Bundespräsidenten — was hat er eigentlich von eurer Arbeit gesehen und was hat er dank euch über Aussig erfahren?

Michaela: Vor zwei Jahren traf ich einen Historiker aus dem Heimatmuseum, Martin Krsko, der ein Buch mit dem Titel Unbekannte Helden sprachen auch Deutsch [Neznámí hrdinové mluvili i německy, Edice ČT, 2018] geschrieben hat, in dem es um Menschen geht, die meist deutscher und jüdischer Herkunft waren und nach dem Krieg deportiert wurden, die aber wichtige Spuren hinterlassen haben, die nicht nur die Gesellschaft in Aussig vorangebracht haben. Gleichzeitig bin ich mit Petr Karlíček, dem Direktor des Stadtarchivs von Aussig, befreundet, der ein wahrer Quell des Wissens über die Geschichte der Stadt und darüber hinaus ist. Eines Tages hatte ich die Idee, Kunstaktionen im öffentlichen Raum zu organisieren und durch großformatige Fotografien oder einfach großformatige Gemälde Geschichten zu vermitteln, die die Menschen in Aussig aufwecken könnten. Sie könnten ihnen sagen: „Schaut, ich habe in einer schrecklichen Zeit gelebt, ich hatte hier alles, dann musste ich meine Heimat verlassen, weil ich Jude oder Deutscher war, aber ich habe nicht aufgegeben. Ich begann, in einem anderen Land zu leben, und obwohl ich die Sprache des Gastlandes nicht kannte, machte ich dort eine große Karriere und erfand etwas, das vielleicht dem ganzen Planeten diente.“ Eine dieser Geschichten handelt von Ruth Hálová, einem der Winton-Kinder. Ihre Mutter war so klug und stark, dass sie die kleine Ruth in Wintons Arme legte und ihm sagte, er solle sie nach Großbritannien bringen und ihr das Leben retten. Ruth ging durch viele verschiedene Familien und hatte das große Glück, Lehrer zu haben, die in ihr ein Talent für Biologie entdeckten, der sie dann ihr ganzes Leben widmete und forschte. Nach dem Krieg kehrte sie nach Aussig zurück, wo sie ihre Mutter traf und ein unglaubliches Leben führte, bis sie neunzig Jahre alt war. Wenn die Leute sich ein bisschen für diese Geschichte interessieren, greifen sie sich vielleicht an die eigene Nase und sagen: „Ich meckere über Aussig, aber die Leute, die vor mir hier gelebt haben, sind durch die Hölle gegangen, mussten ihre Familien zurücklassen, und ich meckere darüber, dass der Müll auf dem Platz nicht weggeräumt wird...“ Ich vereinfache das jetzt, aber die Geschichte hat einen viel umfassenderen Aspekt. Jedenfalls haben wir das direkt vor dem Hauptbahnhof gemalt, weil die kleine Ruth ihre Mutter nach dem Krieg am Hauptbahnhof in Aussig traf. Daher hielten wir es für angemessen, sie in dieser unmittelbaren Umgebung darzustellen. Dort entstand ein siebzig Meter langes Werk von Adela Bierbaumer und Magdalena Gurská. Und bevor wir damit fertig waren, kam der deutsche Bundespräsident. Aussig nutzte dies hervorragend aus, lud ihn in das Museum zu einer großen Ausstellung mit dem Titel Unsere Deutschen ein, und auf dem Rückweg sah er sich unser Gemälde an. Es war eine fantastische Viertelstunde. Es ist ein wirklich guter Test, wenn man etwa dreißig Journalisten mit einer Hand wegschieben muss, um mit dem Präsidenten an die Wand zu gehen und diese Geschichte zu erzählen, und dann auch noch einen Dolmetscher und Kameras dabei hat. Es war eine interessante Erfahrung und eine große Bereicherung für Aussig. Ich glaube, das hat uns in den Medien sehr geholfen, und ich bin froh, dass ich dabei sein konnte.

Fallen euch andere Begegnungen oder die Geschichte einer denkwürdigen Person ein, die eure Meinung oder Einstellung verändert hat?

Nachbarschaftsbeziehungen und das Gemeinschaftsgefühl, darum geht‘s.
Nachbarschaftsbeziehungen und das Gemeinschaftsgefühl, darum geht‘s.

Michaela: Ich bin ein Mädchen aus Türmitz, einem abgelegenen Ort. Bis ich etwa 17 Jahre alt war, wuchs ich in einem problematischen Umfeld auf, und ich kannte viele Nicht-Roma-, Roma-, und Ausländerkinder, die im Wohnheim neben der Schule lebten. Es handelte sich um Kinder aus Rumänien oder Angola, die vor Krieg und anderer Verfolgung flohen. Ich finde es also völlig normal, unterschiedlich aussehende Freunde zu haben, arme, reiche, dumme, kluge. Es macht mir nichts aus, dass der eine keinen Aufsatz über Ökologie schreiben kann und der andere zehn Abschlüsse in demselben Bereich hat. Entweder versuchen sie, fair zu spielen und zu leben, oder nicht. Und das Reisen hat mir in dieser Hinsicht sehr geholfen. Auf Reisen begegnet man so vielen Widersprüchen und kommt zu Erkenntnissen, die das eigene Leben und die Weltanschauung insgesamt verändern.

Olga: Ich bin in einem sehr toleranten Umfeld aufgewachsen und bin meinen Eltern dankbar, dass sie mir nie Vorurteile beigebracht haben. Abgesehen von den sozialen Problemen, die Aussig hat, nehme ich viel über die Gestalt von Aussig wahr, die sehr stark davon bestimmt wird, was die Stadt in der Vergangenheit erlebt hat. Meine Eltern und meine Großmutter erzählten mir, wie schön Aussig früher war und wie viel Schaden es nicht nur durch den Krieg, sondern auch durch die Zeit der Normalisierung genommen hat, als schöne Gebäude abgerissen und Komplexe gebaut wurden, die Aussig heute verschandeln. Man muss Aussig in seinem historischen Kontext sehen, dass es keine Stadt ist, die erst vor ein paar Jahren hier entstanden ist, sondern eine Vergangenheit hat. Die Menschen vergessen oft diesen historischen Kontext. Leider wissen wir unser kulturelles Erbe nicht zu schätzen, und Aussig hat dafür einen hohen Preis bezahlt. Es ist schwierig, jemandem aus einem Wohnblock, der nicht einmal Fenster hat, zu erklären, dass Aussig ein großartiger Ort zum Leben ist Ihr habt bereits erwähnt, dass es für die Menschen wichtig ist, eine positive Beziehung zu dem Ort zu haben, an dem sie leben.

Habt ihr ein Rezept dafür?

Olga: Einer der Wege kann sein, was wir tun. Aufbau einer Beziehung zum Ort in Form von verschiedenen Veranstaltungen, die den Menschen gefallen und die zu einem festen Bestandteil ihres Lebens werden. Wenn der Mensch einen Ort hat, an dem er lebt und der mit bestimmten Traditionen verbunden ist, dann ist das für ihn Heimat. Wenn er weiß, dass er zu Weihnachten auf einen Glühwein in den Park gehen wird, im Frühjahr mit seinen Kindern ins Theater und im Sommer auf ein Fest, wenn er weiß, dass es viele schöne Veranstaltungen gibt, die ihm gefallen und bei denen er seine Nachbarn treffen wird. Ich lebe dort gut, wo ich viele Freunde habe. Natürlich kann man nie die ganze Stadt mögen, es gibt eine Menge Orte, die wirklich total gruselig sind. Ich bin überzeugt, dass jemand, der Aussig aus Prinzip nicht mag, diese schönen Orte nicht zu schätzen weiß. Er sieht nicht die schöne Kirche, nicht die schönen Villen. Alles, was er sieht, ist ein kaputter Mülleimer, ein kaputter Bürgersteig. Aber natürlich geht es auch darum, dass die Politiker etwas mit Aussig machen wollen, seine positiven Seiten, seine Wahrzeichen, die Dinge, auf die wir stolz sein können, hervorheben. Was viele von ihnen nicht können. Es wäre sehr hilfreich, wenn Aussig nicht so ein negatives Image hätte, denn jeder kommt mit Ängsten hierher, aber am Ende sind sie überrascht, so viele schöne und interessante Orte zu finden.

Michaela: Jedes Rezept aus der Perspektive von Promyky als einer kleinen Gemeinschaft von Mädels, das darauf hinweist, dass die Stadt ein Ort zum Leben ist und keine Maschine, in der man lebt, ist für einen Teil der Bevölkerung ein inakzeptables Thema. Was sollen wir sagen, wir haben alle Uniabschlüsse, uns geht es nicht schlecht, wir wohnen in schönen Wohnungen, wir haben Autos, und wir leben unser Leben wie „die Maus im Haferstroh“. Es ist also wirklich schwierig, jemandem aus einem Randgebiet, aus einem Wohnblock, der nicht einmal Fenster oder einen Aufzug hat, zu erklären, dass Aussig ein großartiger Ort zum Leben ist. Nach fünf Jahren, in denen wir die Aussiger Gesellschaft davon zu überzeugen versuchen, dass wir es wirklich gut meinen, dass wir den öffentlichen Raum wiederbeleben und das Leben ein wenig besser machen wollen, hören nun auch mehr Menschen, die in Aussig entscheiden, davon. Zum Beispiel wenden sich Politiker manchmal an uns und lassen sich etwas aus einem anderen Blickwinkel erklären. Wie einer unserer Freunde sagt: Wir sind quasi lokale „Mikroinfluencer“. Das klingt komisch, aber wir verändern die Dinge gerne zum Besseren hin. Ich würde mir wünschen, dass auch die Tschechen zugeben, dass auch sie Fehler gemacht haben.

Habt ihr ein spirituelles Thema, das euer Handeln leitet — einen moralischen Kompass? Oder seid ihr eher Frauen der Tat?

Michaela: Ich kann nicht über Spiritualität sprechen, ich weiß nicht, was das ist. Ich glaube an die Menschen. Es gibt hier viele Menschen, die handlungsorientiert sind und die, jeder auf seine Weise, Energie in die Stadt und die Menschen in ihr stecken — sei es finanziell, materiell, mit ihrer Begeisterung oder indem sie mir einen Ansprechpartner schicken, der mich weiterbringen kann.

Olga: Ich glaube, wenn man etwas mit guten Absichten tut und sich für das Wohl anderer einsetzt, wird es zu einem zurückkommen. Wir tun das, was wir tun, nicht, um irgendwie unser eigenes Ego zu stärken oder unsere Aura zu reinigen. Ich möchte einfach, dass die Menschen etwas davon haben, dass es sinnvoll ist und Freude macht. Ich sehe einen großen Mehrwert in dem, was wir tun, da es hoffentlich einen positiven Einfluss auf meine Kinder hat. Meine Tochter ist sehr an unseren Promyky-Aktivitäten interessiert, sie hilft im Organisationsteam mit. Wir erziehen also auch die Generation unserer Kinder dazu, dass es gut ist, aktiv zu sein und etwas zu tun.

Neben den Kriegs- und Vorkriegsereignissen war Aussig auch von der Zeit des Nachkriegsunrechts betroffen. Die Aussig-Brücke mit ihrer Gedenktafel ist sicherlich vielen Menschen im Ausland, insbesondere in Deutschland, bekannt. Sind diese Ereignisse eurer Meinung nach aufgearbeitet worden?

Michaela: Kürzlich wurde ich von einem Kollegen aus Prag gefragt, wie es um unsere Beziehungen zu den Deutschen bestellt ist. Und ich würde sagen, dass es uns gut geht. Wir sind viel in Deutschland unterwegs, wir haben tschechische Freunde, die dort leben, und wir haben auch deutsche Freunde. Ich gehe wegen der Kultur dorthin. Ich liebe Deutschland. Deutschland ist ein fantastisches Land, und ich denke über diese Dinge überhaupt nicht nach. Ich betrachte unsere gemeinsame Geschichte als eine Tatsache. Gleichzeitig bin ich heute auf einen Beitrag gestoßen, der mich sehr beeindruckt hat. Ich habe mich gefragt, was alles getan werden muss, damit die Deutschen selbst eine mentale Reinigung in Bezug auf die Vergangenheit vornehmen können. Was für eine nationale Therapie wäre das! Heute sehe ich sie als eine stolze Nation, die weiß, wie man Asche aufs eigene Haupt schüttet. Kürzlich sprach Bundespräsident Steinmeier zum Jahrestag des Kriegsendes und sprach über all das, was die Vorgänger getan hatten. Ich halte es für sehr fair, auch jetzt schon zu sagen, wo Fehler gemacht wurden und was sich in Zukunft nicht wiederholen darf. Ich würde mir wünschen, dass auch die Tschechen auf diese Weise an sich selbst arbeiten und zugeben, dass auch sie Fehler gemacht haben. Und dass wir sie immer wieder machen, vor allem uns selbst gegenüber.

Olga: Das Museum in Aussig organisiert eine interessante und recht kontroverse Ausstellung mit dem Titel Unsere Deutschen. Auf der Straße vor dem Museum waren zum Beispiel deutsche Grabsteine ausgestellt. Das Thema ist heute offener und nicht mehr so tabu. Wir sind Teil des Sudetenlandes, von Nordböhmen, es ist Teil unserer Geschichte. Aufgrund der Tatsache, dass die Bevölkerung hier immer wieder wechselte, sich ansiedelte, umgesiedelt wurde, sind die Wurzeln hier nicht so tief. Die Menschen überqueren die Grenze fast täglich, sie leben einfach zusammen. Die gesamte Wirtschaft der Grenzgemeinden ist von deutschen Kunden abhängig. Ich habe nicht das Gefühl, dass es irgendwelche Feindseligkeiten gibt. Ich wünschte, der Trend ginge zum Geben und nicht zum Nehmen.

Was wünscht ihr euch für die nächsten fünfzig Jahre in eurer Region, was wäre für euch eine positive Entwicklung?

Olga: Ich würde mir sehr wünschen, dass wir anfangen, die Stadt zu kultivieren und aus dem, was jetzt als Nachteil empfunden wird, einen Vorteil zu machen. Zum Beispiel lokale Industriebrachen. Wenn man etwas mit ihnen machen würde, wie in Ostrava. Ich möchte, dass Aussig eine coole Stadt ist, die stolz darauf ist, dass es hier keine historische architektonische Schönheit gibt, sondern eine tolle Kultur, kluge Leute und eine schöne und gute Universität. Damit die Menschen hierbleiben oder zurückkommen wollen. Damit die Stadt lebt. Und ich fände es toll, wenn die Menschen mehr zusammenleben würden, wenn die Kulturen sich vermischen würden. Ich war im Sommer in Brünn auf dem Roma-Festival und fand es wirklich cool, wie die Menschen zusammenlebten, sich freuten, tanzten und sangen. Es spielte keine Rolle, ob man Romani war oder nicht. Ich möchte, dass die Menschen stolz auf Aussig sind, und ich möchte, dass wir Politiker haben, die die Stadt lieben und alles in ihrem Interesse tun, nicht in ihrem eigenen...

Michaela: Ich würde mir wünschen, dass viel Geld in die Bildung fließt, dass das Ansehen der Lehrer steigt, dass man sich nicht scheut, in ausgegrenzten Gegenden zu unterrichten, dass diese Kinder eine Chance bekommen. Dreizehn Prozent der Kinder in Aussig verlassen zum Beispiel die Schule nach der achten Klasse. Sie machen nie einen Abschluss. Was ist mit dem Leben danach? Was können sie tun? Was haben sie zu bieten? Wer wird sie einstellen? Es ist wichtig, die Bildung an den Arbeitsmarkt anzupassen, auch im Hinblick auf den weniger gebildeten Teil der Bevölkerung. Ich vermisse auch die Investitionen in die sudetendeutsche Landschaft, aber nicht in Form von großen Minen in Schutzgebieten, in denen Lithium für Batterien abgebaut wird, die fünf Jahre halten... Aber es liegt an unseren Mitbürgern, aufzuwachen, zu beobachten, was um sie herum geschieht, und die von ihnen Gewählten mit wichtigen Themen anzusprechen. Ich wünsche mir, dass Aussig ein Ort ist, an dem es viele Menschen gibt, die es zu schätzen wissen, die es lieben, die bereit sind, etwas dafür zu tun, und denen es nicht egal ist, wenn jemand beschließt, den Ort absichtlich zu seinem persönlichen Vorteil zu zerstören. Es gab schon genug persönliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit, psychopathische Versuche, alles und jeden zu besitzen. Ich wünschte, der Trend ginge zum Geben und nicht zum Nehmen.

Promyky
spolekklise@gmail.com
Facebook: Promyky

Quelle: Mitten am Rande, Antikomplex, Prag, 2022, ISBN 978-80-906198-5-2