Euroregion Elbe/Labe

Matouš Kirschner

Wir baten Josef Wohlmann um Vergebung und erhielten seinen Segen

Wetzwalde / Václavice

Matouš Kirschner (*1975) lernte Nordböhmen nach und nach kennen, als er sich mit dem Verein zur Erhaltung religiöser Kleindenkmäler daran machte, in der verlassenen Landschaft stehende Kreuze zu restaurieren. Der Wohlmann-Hof in Wetzwalde, ein Ort mit einem bewegten Schicksal, den die meisten Menschen fürchteten, verzauberte die Kirschners. Sie merkten, dass das der Ort war, an dem sie sein wollten — trotz all seiner Dämonen.

Wie sind Sie nach Wetzwalde auf den Bauernhof gekommen?

Ich komme aus Leitmeritz und habe 1996 in Kratzau für eine Wohltätigkeitsorganisation gearbeitet. Im Jahr 2001 heiratete ich meine Frau und wir suchten nach einem Ort für unser gemeinsames Leben und fanden ihn hier in Wetzwalde, Nr. 34. Ich dachte, es sei der Ort, an dem ich leben will. Ich hatte immer von einem Dorf, Vieh und Landwirtschaft geträumt, aber schon bald stellte ich fest, dass es noch nicht ganz das Richtige war. Ich sehnte mich nach etwas Größerem, wo es mehr Raum für echte Landwirtschaft und für Begegnungen verschiedener Menschen geben würde. Und das hatten wir in diesem Haus Nr. 34 nicht, also suchten wir weiter. Die Reise zu unserem jetzigen Bauernhaus dauerte weitere zehn Jahre, bevor wir uns darüber im Klaren waren, was wir wirklich wollten. Darüber hinaus wurden wir im August 2010 von einer Überschwemmung heimgesucht, die unseren Stall und die Hälfte der Scheune weggerissen hat. Wir hatten eine Milchziege, die nach der Überschwemmung an Typhus erkrankte, und das war das Ende unserer Landwirtschaft im Haus Nr. 34. Dann haben wir uns in der Umgebung auf die Suche nach einem klassischen Bauernhof gemacht. Aber es war eine schwierige Suche, denn ich wollte ein Bauernhaus ohne moderne Umbauten, vielleicht mit etwas Land. Zufälligerweise war der erste Ort, an dem wir uns vorstellen konnten zu leben, der Wohlmann-Hof, wo wir jetzt sind. Wir haben den Eigentümer bereits 2005 angesprochen, aber damals wollte er noch nichts von einem Verkauf wissen. Das Bauernhaus wurde von sozial Bedürftigen bewohnt, und der Eigentümer sagte, dass er sich nicht wirklich um die Gebäude kümmere, dass er sie verfallen lasse, dass es ihm mehr um das Land ginge, das er in Zukunft vielleicht nutzen würde. So nahmen wir in den nächsten zehn Jahren immer wieder Kontakt mit dem Eigentümer auf und versuchten herauszufinden, ob er den Hof nicht doch verkaufen wollte. Natürlich hatte sich der Zustand des Hofes in der Zwischenzeit ziemlich verschlechtert. Da es aber keine Garantie gab, dass der Eigentümer seine Meinung ändern würde, haben wir uns in der Zwischenzeit in der ganzen Region Friedland im böhmischen Mittelgebirge umgesehen, aber nirgends hat es so richtig gestimmt. Im Jahr 2015 sprachen wir den Eigentümer erneut an, er zögerte und sagte dann nach einiger Zeit ja, er würde den Bauernhof verkaufen. Er fuhr selten zu dem Hof, ich würde sagen, er hatte ein bisschen Angst vor diesem Ort. Er ging nicht einmal in das Gebäude, weil es voller Menschen war. Das Treffen war also interessant — wir unterzeichneten den Kaufvertrag auf dem Postamt in Reichenberg, ließen die Unterschriften beglaubigen und er sagte: „So, jetzt ist der Hof Ihres.“ Es gab keine Schlüsselübergabe, keine Kontrolle, nichts dergleichen. So wurde es gehandhabt.

Matouš Kirschner beim Erneuern der Allee.

Der Hof wurde zusammen mit den Bewohnern an Sie übergeben?

Wir haben etwa zwei Monate vor dem Kauf darüber gesprochen. Die Unterzeichnung fand im September 2015 statt, und ich glaube, wir haben uns irgendwann im Mai darauf geeinigt, dass sie es an uns verkaufen würden. Der Eigentümer und wir ermutigten die Bewohner des Bauernhauses, sich eine andere Unterkunft zu suchen. Für einige war es relativ einfach, innerhalb von zwei Monaten hatten sie tatsächlich eine Wohnung gefunden und waren ausgezogen. Bei einigen funktionierte es nicht, für sie arbeiteten wir mit dem Sozialamt zusammen, um einen gangbaren Weg zu finden, ihnen zu helfen, wir suchten eine Art Heim für Mütter mit Kindern. Schließlich gelang es erst kurz vor dem Kauf. So haben wir den Hof tatsächlich leer übernommen. Als wir den Vertrag unterschrieben und hierher kamen, wussten wir, dass er schon uns gehört, aber es war sehr aufregend. Es liefen immer noch Hunde herum, einer angebunden, einer frei, wir hatten ziemliche Angst vor ihnen, denn man konnte sehen, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung war. Also haben wir das mit der Stadtpolizei geregelt, die sie mitgenommen hat. Und als wir dann versuchten, in die Gebäude zu gelangen, waren alle Nebengebäude offen, aber das Wohnhaus war verschlossen und verbarrikadiert, sodass es nicht geöffnet werden konnte. Da wir keine Schlüssel bekommen hatten, mussten wir den Haupteingang aufbrechen, um hineinzukommen. Dann stellten wir fest, dass auch alle anderen Türen so blockiert waren, dass man sie nicht öffnen konnte. Wir gingen durch das ganze Haus und mussten alle Türen gewaltsam öffnen. Es war ziemlich unangenehm. Und der Ort war absichtlich unordentlich hinterlassen worden. An eine der Türen war eine Bibel genagelt. Wir haben nicht wirklich verstanden, was da vor sich ging. Jedenfalls wissen wir, dass es hier einen Drogenring gab, vielleicht war hier eine Distributionsstelle. Es war ein so unangenehmer Ort, an dem nichts Gutes geschah.

Das ist schon ziemlich starker Tobak... Wenn Sie sich in anderen Regionen umgesehen haben, was hat Sie dann so an diesem Ort angezogen?

Ich bin mir sicher, dass es daran lag, dass wir hier bereits einige Wurzeln geschlagen hatten. Meine Frau kommt aus Grottau und ich aus Leitmeritz, aber wir lebten schon eine Weile hier. Wir waren auf jeden Fall ein wenig skeptisch, ob wir woanders wieder Beziehungen aufbauen könnten. Und irgendwie hatten wir das Gefühl, dass wir einfach hier hingehörten. Schon im Jahr 2002 hatten wir hier den Verein zur Erhaltung religiöser Kleindenkmäler gegründet und widmeten uns der Instandhaltung verschiedener Wegkreuze und Kapellen. Auf diese Weise lernten wir auch die Region besser kennen. Tatsächlich hatten wir schon einige Kontakte zu den alten deutschen Bewohnern geknüpft, und es schien uns irgendwie — dass wir hier kurzgesagt unseren Platz hatten, dass wir hierher gehörten.

Steinerner Weg zum Marterl.

Als Sie anfingen, über einen großen Hof nachzudenken, hatten Sie da eine Inspiration oder hat Ihnen jemand den Mut dazu gegeben?

Wir mussten auf jeden Fall Mut aufbringen, ohne den wäre es nicht gegangen. Ich hatte zwar den konkreten Wunsch, so etwas zu machen, aber ich war mir nicht sicher, ob dieses Verlangen in die richtige Richtung ging, wenn ich nicht die finanziellen Mittel dazu hatte, so etwas mit meiner Familie auf die Beine zu stellen. Auf jeden Fall waren wir uns bewusst, was auf uns zukommen wird — nicht nur die Unordnung, die hier überall herrschte, sondern auch die seelische Last, die von dem gesamten Gebiet und im Grunde von der Region ausging. Als sich also die Gelegenheit bot, den Hof zu kaufen, sagten wir zuerst: Ja, wir machen das. Dann haben meine Frau und ich lange innegehalten und uns gefragt, ob wir es wirklich schaffen können. Wir fragten uns, woher wir das Geld für die Instandsetzung nehmen sollten, und wir waren uns auch der anderen Schwierigkeiten bewusst — nämlich Drogen, riesiges Durcheinander. Auch andere Katastrophen waren hier passiert. Als wir in der Nachbarschaft wohnten, gab es hier eine Tragödie: Eine Mauer stürzte auf ein sechsjähriges Mädchen und begrub es unter sich. Und wir haben alle möglichen anderen Geschichten gehört, die hier passiert sind, unangenehme Verluste an Menschenleben... Und dann ist da noch die Geschichte mit den Deutschen, die gewaltsam vertrieben wurden. Seit sie ihr Land verlassen haben, ist hier im Grunde nichts Gutes mehr passiert. Wir waren uns bewusst, dass ihr Weggehen noch nicht abgeschlossen war. Wir würden etwas kaufen, von dem wir nicht sicher waren, ob wir das Recht hatten, es zu kaufen. Wir brauchten also definitiv mehr Mut. Den hat uns hauptsächlich unsere Pfarrgemeinde gegeben, insbesondere unser Pfarrer in Grottau, und auch die Franziskanerschwestern, die in Reichenberg ansässig sind und mit denen wir in engem Kontakt stehen. Schwester Dominika riet uns, zu versuchen, mit den Deutschen, die hier lebten, Kontakt aufzunehmen. Zufälligerweise haben wir während unserer Zeit im Verein zur Erhaltung religiöser Kleindenkmäler eine Liste mit den Hausnummern von Wetzwalde in die Hände bekommen. Und bei diesen Nummern war immer ein Name mit einer aktuellen Adresse in Deutschland notiert. Aber die Liste war alt, aus den 70er oder 80er Jahren. Wir wussten nicht einmal, was aktuell und was brauchbar war. Also suchten wir nach dem Hof Nr. 35, dort war der Name Josef Wohlmann und eine Adresse in Deutschland geschrieben. Wir schickten einen Brief an diese Adresse — wir stellten uns vor und schrieben, dass wir in Erwägung ziehen, diesen Hof zu kaufen, dass wir uns aber dessen bewusst sind, dass die Vergangenheit noch nicht ruht, dass uns nicht egal ist, was passiert ist, und dass wir bitten möchten, das Unrecht, das hier geschehen ist, zu vergeben. Wir haben dieses Schreiben im Mai 2015 abgeschickt und ich glaube, wir haben im Juni eine Antwort erhalten, allerdings von jemand ganz anderem. Wir haben an Josef Wohlmann geschrieben, der einer von drei Brüdern war, die von hier vertrieben wurden, erhalten haben wir einen Brief von Ulrich Wohlmann, der der Sohn eines anderen dieser Brüder ist. Er versicherte uns, dass wir unsere Pläne umsetzen sollten, dass sie sich freuen würden — wir erhielten ihren Segen dafür. In diesem Brief stellten sie sich auch bei uns vor und sagten, dass sie in Deutschland Landwirtschaft betrieben, dass sie die Linie der Landwirte fortsetzten und dass sie jetzt hundert Milchkühe haben, die sie auf die modernste Weise molken. Das war für uns sehr wichtig. Es bewegt mich noch heute. Für uns war es, als hätte dieser Brief das Siegel des Bösen gebrochen, dass das Böse damit gebrochen wurde. Und ein Jahr später trafen wir dann diese Deutschen. Ulrich Wohlmann und seine Frau, der Sohn von Ernst Wohlmann, einem der drei Brüder. Sie erzählten uns, welche Reise unser Brief hinter sich hatte. Wir schickten ihn an die Adresse von Josef Wohlmann, aber er wohnte dort schon seit vielen Jahren nicht mehr, und niemand dort kannte ihn. Doch an dem Tag, an dem der Brief ankam und zugestellt werden sollte, erkrankte die derzeitige Postbotin, sodass eine Rentnerin, die Josef noch kannte, einsprang und den Brief auf eigene Faust an seine Verwandten weiterschickte. So gelangte der Brief auf wundersame Weise, durch göttliche Intervention, in die Hände von Josef Wohlmanns Verwandten. Bei diesem Treffen im Jahr 2016 erfuhren wir mehr über die Familie. Ich weiß immer noch nicht alles, weil wir noch nicht alle kennengelernt haben. Aber wir haben erfahren, dass damals drei Brüder, eine Schwester und ihre Eltern vertrieben wurden. 1939 traten alle drei Brüder in die Armee ein. Ernst war damals siebzehn Jahre alt. Ich weiß nicht, ob einer oder zwei nicht auch in Stalingrad gekämpft haben, wo sie verwundet wurden. Glücklicherweise überlebten alle drei den Krieg, zwei gerieten in amerikanische und einer in russische Gefangenschaft. So wurden die in amerikanischer Gefangenschaft nach dem Krieg in die amerikanische Zone und die in russischer Gefangenschaft in die Ostzone vertrieben. Ulrich erzählte von seinem Vater Ernst, der in amerikanische Gefangenschaft geriet, wo er sich erholte, und 1946 erfuhr, dass er nicht nach Wetzwalde zurückkehren würde. Er erzählte uns, dass er die Heimat in seinem Gedächtnis behalten wollte und noch in Gefangenschaft ein Bild vom Hof malte. Dieses Bild nahm er dann mit nach Deutschland, wo er es bis zu seinem Tod aufbewahrte. Und sie brachten uns 2016 eine Kopie davon. Ich habe es hier bei mir — das Bild ist so perfekt gemalt, mit allen Details der Gebäude, dass es für uns die beste Dokumentation davon ist, wie der Hof aussah. Letztes Jahr ist es uns gelungen, das Bauernhaus als Kulturdenkmal eintragen zu lassen, daher ist es für uns nun auch eine Quelle für bauliche und technische Lösungen. Das Bild ist perfekt. Ich weiß nicht, ob Ernst es perfekt in Erinnerung hatte oder ob er ein Foto von 1938 hatte, aber es ist ein erstaunlicher Nachweis dafür, wie es hier damals aussah.

Wohlmannshof — da fühlen sich die Kirschners richtig an ihrem Platz.

Wie kommt es, dass Ihr Hof ein Kulturdenkmal ist? Nicht jeder, der die Renovierung eines alten Gebäudes in Angriff nimmt, strebt diesen Status an... Was bedeutet das für Sie?

Das hat mit meinem derzeitigen Beruf zu tun, ich bin freiberuflicher Schreiner. Und im Grunde arbeiten wir fast nur an denkmalgeschützten Gebäuden, ich bin also sehr nah an diesem Thema dran. Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Denkmalschützern in Reichenberg, ich habe dort viele Freunde, wir verstehen uns, es ist einfach ein Thema, das mir am Herzen liegt. Aber natürlich kann nicht jedes Gebäude ein Kulturdenkmal sein. Der Wohlmann-Hof wurde in den Jahren 1908—1933 komplett umgebaut und modernisiert. Man könnte also sagen, dass es kein historisches Wahrzeichen ist, aber es ist ein erstaunliches Beispiel für die Landwirtschaft des frühen 20. Jahrhunderts. Vor allem für eine moderne Landwirtschaft in dieser Zeit, denn die Landwirte, vor allem im Sudetenland, waren reich. Und das nicht nur, weil die Region reicher war als etwa das Zentrum des Landes, sondern weil die Bauern klug waren, weil sie wussten, wie man innovativ ist, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass sie wussten, wie man Gebäude auf logistisch sinnvolle Weise errichtet, damit moderne Landwirtschaft betrieben werden konnte. Ich denke, dass das Bauernhaus ein Beweis dafür ist, dass sich diese reichen Landbewohner nicht mehr mit der klassischen Stuben-Stall-Wirtschaft zufrieden gaben, sondern eine fortschrittliche Landwirtschaft wollten. Sie brauchten viel größere Gebäude, Scheunen und Ställe, sie wollten moderner wohnen, also bauten sie statt der klassischen kleinen Stuben im Grunde separate Häuser mit modernen Wohnungen.

Gibt es in der Umgebung von Wetzwalde mehrere solcher Höfe?

Sicherlich nicht hier im Dorf. Und ich glaube auch nicht, dass es in der Umgebung welche gibt. Entweder wurden die Bauernhäuser komplett umgebaut und es ist schwer, dort die ursprüngliche Form zu erkennen, oder sie wurden abgerissen. Wir wissen, dass es hier zwei Abrisswellen gab, nicht nur von Bauern-höfen, sondern auch von Häusern, zuerst direkt nach dem Krieg und dann in den 1970er Jahren. Hier, auf unserer Seite des Baches, wurde praktisch jeder zweite Hof abgerissen. Man sieht hier noch die Lücken, zwischen zwei Höfen stand eigentlich immer noch ein dritter. Ich denke also, dass der Zustand unseres Bauernhauses selten ist. In Grafenstein gibt es noch ein seltenes, erhaltenes Herrenhaus, das sich jedoch in einem sehr schlechten Zustand befindet und im Grunde genommen zerfällt. Ansonsten ist mir kein ähnlicher Hof der reichen Landbevölkerung in der Gegend bekannt, der in seinen ursprünglichen Zügen erhalten geblieben ist.

Hat sich Ihre Wahrnehmung der Region in der Zeit, die Sie hier verbracht haben, verändert?

Als wir den Hof für Veranstaltungen öffneten, waren wir erstaunt, wie schnell dieser Ort die Menschen für sich gewinnen konnte. Ich dachte, es würde sehr lange dauern. Wir haben nicht erwartet, dass es nur ein, zwei Jahre dauern würde. Was vielleicht weniger positiv ist, ist, dass wir immer noch nach Möglichkeiten suchen, den Hof für die Menschen vor Ort attraktiv zu machen. Als wir das Erntedankfest zum ersten Mal veranstalteten, war es logischerweise ein lokales Fest, und wir hatten es für die Menschen vor Ort gedacht, aber sie waren nicht sehr interessiert. Sie sind etwas griesgrämig hier — wenn etwas Neues passiert, ist es fast egal, ob es positiv oder negativ ist, sie sind zurückhaltend, sogar gleichgültig. Sie warfen uns eher vor, dass wir prätentiös seien. Damit kämpfen wir noch heute. Und deshalb waren wir überrascht, dass Leute aus der weiteren Umgebung so gerne hierher kommen. So organisieren wir zum Beispiel eine Kirchweih, weil es hier früher die Jakobskirche gab, welche 1976 abgerissen wurde. Auf dem ehemaligen Gelände der Kirche findet am Fest des Heiligen Jakobus des Älteren eine Messe für das Dorf und die Umgebung statt. Anschließend gibt es Erfrischungen und Stände sowie ein Fest auf dem Hof. Wir konzentrieren uns mehr darauf, die Menschen aus dem Ort einzuladen. Wir stehen in Kontakt mit dem örtlichen Dorfkomitee und haben es geschafft, mit der Stadt zu verhandeln, dass sie die Band Šlapeto aus Prag sponsert. Dieses Jahr hatten wir sie also hier, und wir haben festgestellt, dass viel mehr Leute aus dem Dorf gekommen sind, was uns sehr gefreut hat.

Sie haben gesagt, dass der Wohlmann-Hof viele Menschen schnell überzeugt hat. Was glauben Sie, wonach sie suchen und was finden sie bei Ihnen?

Vielleicht ist diese Frage für mich schwer zu beantworten. Sicher fühlen sie sich hier einfach wohl. Zumindest sagen sie das. Mir gefällt es hier schon lange und ich freue mich darauf, eines Tages hier zu wohnen (im Moment ist das Gebäude unbewohnbar). Außerdem arbeite ich meistens hier, sodass der Ort für mich bereits ein Ort der Arbeit, der Mühe, des Schweißes und des Stresses ist. Aber wenn diese Menschen hierherkommen, sagen sie, dass sie sich hier wohlfühlen, dass es ein sehr schöner Ort ist. An den Hof schließt auch ein Hohlweg an, der beim Wohlmannskreuz in den Feldern endet, was ebenfalls ein wunderschöner Ort ist. Es ist einfach schön hier, eine Umgebung zum Wohlfühlen, ein Genius Loci, der diese Menschen irgendwie anzieht. Vielleicht ist das eher eine Frage für diejenigen, die hierherkommen, als für mich. Aber ich finde, wenn wir uns hier treffen, ist immer eine gute Stimmung, man kann reden und alle möglichen Sorgen hinter sich lassen. Ich glaube immer noch, dass dies auf die Versöhnung zurückzuführen ist. Ich denke, es spielt eine Rolle, dass es die Versöhnung gegeben hat. Und dass die Orte, an denen dies nicht geschehen ist, irgendwie immer noch mit Missverständnissen und Konflikten belastet sind. Das soll nicht heißen, dass hier alles perfekt ist, aber die Versöhnung spielt hier eine große Rolle.

Warum ist es noch nicht zu einer allgemeinen deutsch-tschechischen Versöhnung gekommen, und auch nicht an anderen Orten? Was, glauben Sie, brauchen wir dafür?

Für uns war die Versöhnung ein großer Schritt, um Wurzeln zu schlagen. Meine Mutter stammt aus Südböhmen, wiederum von der anderen Seite des Sudetenlandes, einem Ort, an dem ihre Familie seit Jahrhunderten ansässig war und es auch heute noch ist. Wir haben immer noch Verwandte dort, und wir haben uns gedacht, dass diese Verwandten fühlen können wie ihre Wurzeln Jahrhunderte zurückreichen, und wir hier nur angeschwemmtes Treibholz sind. Wir sind seit sechs Jahren hier auf einem Stück Land, und ich habe das Gefühl, ohne zu wissen, wer hier war und was sie erlebt haben und wie sie diesen Ort aufgebaut haben, wären wir wirklich nur eine Art Treibgut, das die Zeit hin und her spülen kann. Aber mit diesen Wurzeln haben wir irgendwie das Gefühl, dass dieser Ort auch uns gehört und dass er für uns ist. Wir fühlen uns hier einfach wohl.

Glauben Sie, dass dieses Gefühl für die Region auch irgendwie bei der jüngeren Generation gefördert werden kann?

Ich denke schon, zum Beispiel durch die Aktivitäten, die hier stattfinden. Sie erleben hier etwas Schönes, wir haben Stände, an denen sie etwas kaufen können, wir machen Workshops, bei denen sie etwas ausprobieren, mit den eignen Händen schaffen können. Und so wird ihnen nach und nach bewusst, wo sie eigentlich sind und sie stellen fest, dass hier etwas geschrieben steht, nicht nur über den Hof, sondern auch über die Region. So können sie nach und nach die Umgebung, in der sie sich befinden, und die Geschichte des Ortes entdecken. Das absolute Highlight ist das Klettern auf den Heuballen für die Kleinen. Wir haben uns überlegt, was wir für die Kleinsten machen könnten — einen Spielplatz, Klettergerüste, eine Schaukel oder eine Rutsche.... Und dann ist uns bewusst geworden, was den Kindern von heute fehlt, und was wir teilweise noch selbst erlebt haben: eine Umgebung, in der diese Attraktionen nicht vorhanden sind! Hier können sie auf Heuballen klettern, auf einen Baum, auf der Wiese herumflitzen, auf den Heuboden gehen, um die Tiere zu beobachten, oder einfach hinaus. Und ich denke, dass dann auch das Interesse an der Geschichte allmählich wachsen wird. Zumindest versuche ich, wann immer ich kann, auch etwas über diesen Ort zu erzählen — dass wir nicht einfach nur hier sind, sondern dass auch jemand diesen Ort gebaut hat. Manchmal ärgert es mich, dass wir hier keine Wurzeln haben, dass wir mit wenig Geld etwas gekauft haben, und dass wir nach Geld suchen, um es zu renovieren und dass wir es unser Lebzeit lang nicht so wiederaufbauen werden können, wie es ursprünglich einmal war. Das liegt nicht in unserer Macht. Andererseits hält es mich auch im Zaum, dass mein Ziel nicht ist, alles so gut wie möglich zu renovieren. Das Wichtigste hier sind das Zusammenkommen von Menschen und das Wurzeln schlagen. Und vielleicht ist es das, was wir eines Tages mit in die Ewigkeit nehmen werden — nicht die reparierten Gebäude...

Bevor es losging mit dem Wirtschaften, widmeten sie sich der Erneuerung kleiner sakraler Denkmäler.

Sie haben die einmalige Gelegenheit, mit den Zeitzeugen oder ihren Nachkommen zu sprechen. Haben Sie jemals darüber gesprochen, ob die Region, in der sich Ihr Hof befindet, für sie noch „Heimat“ ist oder ob sie sie schon anders wahrnehmen?

Ich glaube, dass sie das anders wahrnehmen. Ich weiß das aus Gesprächen mit Deutschen aus anderen Häusern in Wetzwalde. Sie haben sicher nicht den Wunsch, hierher zurückzukehren. Sie spüren, dass sie hier Wurzeln haben, sie kommen gerne hierher, gehen auf den Friedhof... Sie spüren definitiv, dass hier ein Stück ihrer Vergangenheit ist. Aber ich denke nicht, dass sie immer noch das Gefühl hatten, zurückkommen zu wollen, weil es hier noch etwas von ihnen gab. Das ist sicherlich nicht der Fall. Als wir Ulrich und seine Frau zum ersten Mal trafen (2016), war das Treffen für sie insofern emotional, da sie nach langer Zeit hierhergekommen waren. Sie erzählten uns, dass sie das letzte Mal kurz nach der Revolution mit dem Vater hier waren. Sie konnten weder das Haus noch den Hof betreten — sie sahen, dass es unmöglich war. Dort liefen Hunde herum, und es war eine Ruine. Der Vater ist mit gebrochenem Herzen wieder abgefahren und hat gesagt, dass er nie wieder hierher zurückkommt. Ulrich war sehr schweigsam, seine Frau sprach mehr, über die Familie und was sie vom Hörensagen über den Hof wusste. Er war sehr aufmerksam und beobachtete alles, was um ihn herum und auf dem Hof passierte. Mehrmals fragten sie uns, ob wir etwas gefunden hätten, das sie an ihre Familie erinnern könnte. Wir sagten ihnen, dass wir nichts gefunden hätten, aber sie wiederholten die Frage etwa zehnmal, bis es mich ein wenig wütend machte, dass sie dachten, wir könnten hier etwas gefunden haben. Sie hatten keine Ahnung, was hier im Laufe der Jahre passiert war, wie viele Menschen hier waren... So viele Menschen waren hier durchgekommen, so viele Wellen von Plünderungen hatten stattgefunden, wir konnten nicht eine einzige Kleinigkeit finden! Schließlich stellte sich heraus, dass sein Vater, oder vielmehr seine Großeltern, hier einen Familienschatz aufbewahrt hatten. Aber der ist sicher schon lange weg. Vielleicht hatten sie den Wunsch, darin etwas zu finden, das sie an ihre Heimat erinnert. Aber ich glaube nicht, dass sie hierher zurückkommen wollen.

Wir sprachen über das Sudetenland in den letzten 70 Jahren. Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahrzehnte?

Was müsste passieren, damit es den Menschen im Sudetenland gut geht? Es ist wichtig, das fortzusetzen, was wir begonnen haben — die Begegnung. Ich glaube, dass wir weiterhin nach unseren Wurzeln suchen müssen. Das kann durch Interesse an der Vergangenheit geschehen. Man muss zum Beispiel nur auf den Friedhof gehen und sehen, wer alles dort liegt. Und sich vielleicht auch für die Nachkommen derer interessieren, die dort liegen, und für deren Schicksale. Auf den Friedhöfen hier in der Gegend stehen regelmäßig Blumen oder Kerzen, und die sind nicht von Tschechen — man sieht, dass noch jemand hierherkommt. Es würde helfen, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten und ihnen gegenüber offen sein könnten, wenn sie ihre Häuser sehen wollen. Ich denke, dass wir, was das angeht, noch Defizite haben. Gelegentlich kommen Deutsche hierher nach Wetzwalde und wollen ihr Haus sehen. Aber wir sagen oft: „Was wollt ihr hier, warum fotografiert ihr das Haus?“ Wir haben keine offenen Arme und Herzen, um sie willkommen zu heißen. „Ja, komm und sieh es dir an, wir wissen, dass du nichts von uns stehlen wirst.“ Wir haben immer noch eine gewisse Zurückhaltung in uns. Ich denke, es ist wichtig, mit dieser Angst zu arbeiten. Da gibt es Defizite. Während der letzten Kirchweih lernte meine Frau, die gut Deutsch spricht, ein Ehepaar kennen, das ihr früheres Haus sehen wollte, in dem ihre kürzlich verstorbene Mutter aufgewachsen war. Meine Frau bot an, sie zu begleiten und für sie zu übersetzen. Als sie klingelten, kam die jetzige Besitzerin des Hauses heraus und sagte, dass sie niemanden sehen oder sprechen wolle, und wies sie im Grunde genommen ab. Dann erklärte meine Frau, dass sie nur einen Blick darauf werfen wollten, vielleicht sogar nur ein Foto von außen machen wollten. Und die Frau wurde langsam weicher. Meine Frau erzählte ihr noch mehr über uns und die Deutschen, und schließlich änderte sie ihre Meinung komplett. Am Ende bat sie sie herein, sie gingen durch das Haus und schließlich fragte die Frau sogar, ob sie nicht später zum Kaffeetrinken wiederkommen wollten. Das passierte dann zwar nicht, weil sie wieder zurückfahren mussten, aber ich denke, es ist wichtig, solche Dinge fortzusetzen. Durch solche Begegnungen kann es zu dieser Versöhnung kommen...

Quelle: Mitten am Rande, Antikomplex, Prag, 2022, ISBN 978-80-906198-5-2

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